Ensemble in Residence des KQ 2023/2024:

Die Hamburger Ratsmusik

Die Hamburger Ratsmusik blickt heute auf ein halbes Jahrtausend Musikgeschichte in Hamburg zurück, denn die Stadt beschäftigte erstmals im Jahr festangestellte 1522 Spielleute - zum historischen Hintergrund und der Entwicklung siehe unten.

 

1991 von Simone Eckert wieder erweckt, besteht die Ratsmusik aktuell aus Simone Eckert, Viola da gamba, Anke Dennert, Cembalo/ Orgel und Ulrich Wedemeier, Laute/ Chitarrone/ Theorbe. Das Ensemble knüpft an die jahrhundertealte Tradition an und widmet sich nun seit mehr als 30 Jahren mit ungebrochenem Enthusiasmus der historisch informierten Aufführungspraxis auf originalen Instrumenten. Die Klanglichkeit ihrer seltenen, mehr als 300 Jahre alten Instrumente fasziniert und inspiriert RatsmusikerInnen wie Publikum immer wieder aufs Neue.

 

Mit Hingabe recherchieren und erschließen die MusikerInnen das noch immer wenig bekannte Repertoire ihrer Vorgänger wie z.B. William Brade, Johann Schop, Dietrich Becker bis hin zu Georg Philipp Telemann und C. P. E. Bach. In moderierten Konzerten, musikalischen Lesungen, mit CD- und Videoaufnahmen wird diese Musik wieder lebendig. Die ergänzende Zusammenarbeit mit internationalen MusikerInnen aus Europa, China und dem Iran oder mit zeitgenössischen Komponisten inspirieren die KünstlerInnen zu immer neuen Programmkonzepten.

 

Fast 40 CDs mit zumeist Welt-Ersteinspielungen für die Labels cpo, Hänssler, Carus, Thorofon, audite, NCA, Christophorus und Phoenix Editions sowie Aufnahmen für alle deutschen Rundfunksender und den ORF dokumentieren die Wiederentdeckungen des Ensembles von Musik aus Renaissance, Barock und Klassik. 2006 und 2010 wurde die Hamburger Ratsmusik mit dem Echo Klassik-Preis ausgezeichnet, 2016 mit dem RITTER-Preis der Oscar und Vera Ritter-Stiftung Hamburg.

 

Die Hamburger Ratsmusik ist Partnerin der Hamburger Telemann Gesellschaft, die im KomponistenQuartier das Telemann-Museum kuratiert hat. Aufgrund der langjährigen Verbundenheit ist für die Jahre 2023/ 2024 die Hamburger Ratsmusik zum ersten offiziellen Ensemble in Residence des KQ ernannt worden - eine Kooperation, die sie in gemeinsamen Projekten, gegenseitigen Verweisen und Inspiration wiederspiegelt. Die HR im KQ - ein außergewöhnliches Ensemble an einem besonderen Ort der Hamburger Musiklandschaft.

 

Konzertreihe elbwærts 2024

„Unser“ Telemann beweist einmal mehr seine legendäre Vielseitigkeit. Er wird in einer transatlantischen Besetzung im gemeinsamen Musizieren mit dem Telemann-Forscher und -preisträger Prof. Dr. Steven Zohn/USA an der Traversflöte erklingen. Wir reisen mit Telemann nach Paris und lauschen in den Salons der Stadt den musizierenden Damen. Sogar in unserem Konzert mit dem Neoclassical Ensemble of Tehran kommt er zu Wort mit seinem „Persischen Marsch“. Außerdem feiern wir den 300. Geburtstag einer hochmusikalischen Prinzessin, die Schülerin des Bergedorfer J.A. Hasse war.

 

Hamburg, Neanderstraße 22, Lichtwarksaal, 19:00 Uhr

Eintritt: 20 €/ ermäßigt 15 €

Karten an der Abendkasse oder unter hamburger-ratsmusik@t-online.de.

 

Mittwoch, 20. März 2024: Telemann „Viel Fantasie“

Donnerstag, 25. April 2024: Salon de Paris

Dienstag, 03. September 2024: Faszination Orient

Sonntag, 13. Oktober 2024, 15:00 Uhr, Sonderveranstaltung elbwærts bei KQ live: Antonia Walpurgis – die komponierende Regentin

Samstag, 23. November 2024: Magellans Weltumsegelung

 

Termine für Konzerte der Ratsmusik im KQ finden Sie hier, weitergehende Informationen und Konzerttermine des Ensembles an anderen Orten unter der Homepage www.hamburger-ratsmusik.de. 

 

Historische Einordnung

Die Anfänge der Hamburger Ratsmusik reichen zurück bis ins 16. Jahrhundert. Nach dem Grundsatz „Gott zu Ehren und Hamburg zur Lust, Ergötzlichkeit und Nutz“ leistete sich die Stadt ein Ensemble von acht Ratsmusikern, das mit den fürstlichen Hofkapellen andernorts konkurrieren konnte. Seine Blüte erreichte das Ensemble im 17. und 18. Jahrhundert unter führenden Musikern wie William Brade, Georg Philipp Telemann und Carl Philipp Emanuel Bach.

 

Mit dem Zerfall des Hansebunds um 1600 wurde die Stadt Hamburg zum Mittelpunkt des norddeutschen und nordeuropäischen Handels. Der zunehmende Wohlstand ließ auch das Repräsentationsbedürfnis wachsen, und man wusste in der Stadt – auch in Konkurrenz zu anderen Reichsstädten und Fürstenhöfen – um den kulturpolitischen Stellenwert einer guten Musik. Spätestens mit den drei großen “S“, dem Organisten Heinrich Scheidemann, dem Kantor Thomas Selle und dem Leiter der Ratsmusik Johann Schop hatte sich Hamburg auch als Musikstadt bis Mitte des 17. Jahrhunderts einen Namen gemacht: der ideale Nährboden für ein Ensemble wie das der Ratsmusiker.

 

Die ältesten Dokumente über „Spellude“ in Hamburg finden sich um 1350. Ab dem Jahr 1522 werden die Spielleute in den Kämmerei-Rechnungen als festangestellte namentlich aufgeführt. Wie die Stadtpfeifer in anderen Reichsstädten auch, waren sie in einer Art Innung organisiert und unterstanden in Hamburg den Gesetzen der Wedde, einer Aufsichtsbehörde, und organisatorisch der Zunft der Ratskuchenbäcker. Ab 1533 war ihre Anzahl festgelegt auf „Eines Hochedlen Raths=Musikanten, an der Zahl acht“, und ihnen waren zwei Adjuncti oder Expectanten, Anwärter auf freiwerdende Stellen, zur Seite gestellt.

 

Zu ihren Aufgabenbereichen zählten die musikalische Umrahmung von Hochzeiten, Empfängen sowie Staatsbesuchen, und möglicherweise hatten sie – wie in anderen Hansestädten auch – bei Verkündung neuer Gesetze oder bei Visitationen der Grenzgebiete aufzuspielen. Daneben war die Kirchenmusik unter Leitung des Kantors und Kirchenmusikdirektors eine regelmäßige Verpflichtung. Ab 1660 kam mit der ersten öffentlichen Konzertreihe, dem Collegium Musicum, ein weiteres Podium dazu. Damit konnte in der Stadt zum ersten Mal professionelle Musik unabhängig von kirchlichen und anderen Amtshandlungen gehört werden. Nachdem Georg Philipp Telemann 1721in Hamburg das Amt des Musikdirektors angetreten hatte, knüpfte er an diese Art der öffentlichen Konzerte an, auch sein Orchester bestand in erster Linie aus Ratsmusikern.

 

Das überlieferte instrumentale Repertoire der Hamburger Ratsmusik im 17. Jahrhundert ist gehaltvoll und stilistisch vielfältig. Anfangs prägten englische Musiker, die aus Glaubensgründen oder auf Suche nach Arbeit auf den Kontinent geflüchtet waren, die Instrumentalmusik der Ratsmusiker im Stile englischer Consortmusik für Gamben. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nahmen italienische Einflüsse zu und die virtuose Sonate mit Violinen wurde zum festen Bestandteil des Repertoires.

 

Auch der Notendruck in Hamburg florierte im 17. Jahrhundert, die Stadt war ein bedeutender Umschlagplatz für Noten. Unter den Ratsmusikern waren etliche selbst als Komponisten tätig; ihre Sammlungen von gedruckter Instrumentalmusik waren überregional im Umlauf, an deutschen Hofkapellen, in den Niederlanden und bis in die Schweiz. Die frühesten dieser Sammlungen wurden 1607 und 1609 gedruckt und enthalten Werke englischer Komponisten wie John Dowland und William Brade, außerdem norddeutscher bzw. Hamburger Meister wie Jacob Praetorius, Johann Sommer und Johann Steffens.

 

Auch andernorts waren Gastspiele Hamburger Ratsmusiker geschätzt. Sowohl an den Hofkapellen norddeutscher Adliger als auch am Kopenhagener Hof von König Christian IV. warteten sie auf.

 

Als am Ende des 18. Jahrhunderts der englische Musikgelehrte Charles Burney Hamburg besuchte, stand es um die Musik in der Hansestadt allerdings nicht mehr zum Besten: "In einer jeden Stadt oder in jedem Lande, wo die Künste kultiviert werden, haben solche ihre Ebbe und Fluth, und in diesem Betracht ist der gegenwärtige Zeitpunkt für Hamburg nicht der glänzendste...wenige Häuser wenden Geld darauf, ihrer Jugend die Musik beibringen zu lassen. Sie glauben, dergleichen ziehe zu sehr von ernstlichen Geschäften ab, mache mehr weibische, als reiche Leute" (Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise, Hamburg 1773).

 

Für die Ratsmusiker hatte diese „Ebbe“ bereits mit der Etablierung der Oper am Gänsemarkt 1678 eingesetzt, denn damit wurde die Kirche als musikalisches Zentrum abgelöst, verursacht und unterstützt durch einen allgemeinen Säkularisierungsprozess im Vorfeld der Aufklärung. Das traditionelle Zunftwesen war in Auflösung begriffen, das Stadtregiment durch Streitigkeiten geschwächt. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch den Rückgang des Handels aufgrund der Kriege gegen Dänemark reduzierten die finanziellen Möglichkeiten der wohlhabenden Bürgerschaft, die Musik weiter zu unterstützen.

 

1789 kritisierte das „Collegium der Sechziger“, eine den Senat kontrollierende Instanz, die jährlich 132 Kirchenmusiken als zu kostspielig. Von den folgenden Sparmaßnahmen waren auch die Ratsmusiker betroffen und wurden nach ihrem Ausscheiden nicht mehr ersetzt. 1818 wurde mit Johann Gottlieb Schwencke der letzte Ratsmusiker pensioniert.

 

Das wertvolle und musikhistorisch einzigartige Repertoire vor allem des 17. Jahrhunderts macht diese einstige musikalische Institution auch in heutiger Zeit noch zum lohnenden Projekt für Forschung und Praxis.

(Simone Eckert, August 2022)